Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner arbeitet als Direktor in der Abteilung für Geburtshilfe an der Frauenklinik des UKJ (Universitätskrankenhaus Jena). Zu den Tätigkeitsschwerpunkten von Schleußner gehört unter anderem die Betreuung von Schwangeren mit hohem Fehlgeburtsrisiko und sonstigen Komplikationen sowie die Plazentaforschung. Darüber hinaus ist Prof. Dr. med. Ekkehard Schleußner als Universitätsprofessor tätig.
In der heutigen Zeit ist die Thematik der ausreichenden Versorgung mit Mikronährstoffen in Schwangerschaft und Stillzeit aktuell wie nie. Neben einer nährstoffreichen Ernährung für Mutter und Kind spielt auch eine Basisversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen eine Rolle. Je nach Ernährungsstil liegt der Fokus auf weiteren Mikronährstoffen wie Vitamin B12, Omega-3-Fettsäuren und Co.
Prof. Dr. Schleußner, welche Vitamine und Mineralstoffe sind Ihrer Erfahrung nach besonders kritisch für die Gesundheit von Mutter und Kind während der Schwangerschaft?
Prof. Dr. E. Schleußner: Es gibt quasi überzeugende Erkenntnisse und Studien, dass Folsäure eine zentrale Rolle spielt. Auch Antioxidantien und der Vitamin B-Komplex sind wichtig. Vitamin E übernimmt in der Frühschwangerschaft eine wichtige Rolle für die Implantation des Kindes: Der Mikronährstoff fängt Sauerstoffradikale beim Heranwachsen der Plazenta ab. Eisen ist neben Folsäure ebenfalls sehr wichtig. Omega-3-Fettsäuren spielen wiederum eine Rolle für die fötale und neuronale Entwicklung – zum Beispiel für das ZNS (zentrales Nervensystem).
Vitamin A ist kontraindiziert, allerdings nicht, was über die normale Ernährung aufgenommen wird. Im Sinne von “Die Dosis macht das Gift” halte ich eine zusätzliche Supplementierung für riskant. Zu viel Calcium oder eine Überdosierung an Vitamin D halte ich ebenfalls nicht für sinnvoll. Jeder Zweite hat heute angeblich einen Vitamin D-Mangel, eine zu hohe Dosis ist aus meiner Sicht aber auch kritisch. Eine Supplementierung, die weit über der physiologischen Norm liegt, ist nicht sinnvoll, aber alles, was über die normale Ernährung aufgenommen wird, sehe ich nicht als risikobehaftet.
Gibt es spezifische Nährstoffe, die Sie in Ihrer klinischen Praxis häufig empfehlen, um während der Stillzeit Mangelerscheinungen vorzubeugen?
Prof. Dr. E. Schleußner: Aus meiner Sicht sind die Empfehlungen nicht anders als für die Schwangerschaft, weil die Ernährung während der Stillzeit nicht besser oder schlechter sein sollte. Die notwendige Versorgung hängt individuell von der Mutter ab. Daher empfehle ich anschließend die Einnahme der herkömmlichen Schwangerschaftspräparate auch während des Stillens, da diese in der Regel den Tagesbedarf abdecken.
Welche Langzeitfolgen kann eine unzureichende Versorgung aus Ihrer Sicht mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen während der Schwangerschaft haben?
Prof. Dr. E. Schleußner: Auch zu diesem Zusammenhang gibt es gute Daten: Ein Eisenmangel und ein Folsäuremangel können zur mütterlichen Anämie und zu einem verminderten Wachstum des Fötus sowie zu einer höheren Frühgeburtenrate führen. Gleiches gilt für einen sekundär schlechteren Start ins Leben, da sich die Entwicklung des Kindes infolge eines Folsäuremangel verschlechtert. Ein Folsäuremangel während der Schwangerschaft kann beim Fötus zu schweren Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekten (z. B. Spina bifida), Herzfehlern sowie Kopf- und Gaumenspalten führen.
Bei einem Calciummangel kann für die Mutter der Spruch von früher “Jedes Kind kostet einen Zahn” zum Tragen kommen. Deswegen halte ich eine kalziumreiche Ernährung ohne Supplementierung für notwendig: Eine milchhaltige Ernährung mit Quark und Joghurt. Bei einer veganen Ernährung ist das Risiko für einen Mangel erhöht, sodass ich daher auf jeden Fall ein Nahrungsergänzungsmittel empfehle.
Ich persönlich sehe eine vegane Ernährung als eine Mangelernährung bzw. eine Fehlernährung. Aus meiner Sicht ist alles, was heute dazu erzählt wird, falsch. Ein veganer Ernährungsplan birgt meiner Meinung nach ein hohes Risiko für das Kind in der Schwangerschaft, weil essentielle Aminosäuren und Vitamin B12 fehlen. Ich halte es für kritisch, wenn man Vitamin B12- Zahnpasta verwendet und das Vitamin zusätzlich supplementiert. Aus meiner Sicht sollten alle wichtigen Vitamine und Mineralstoffe über die Ernährung aufgenommen werden, um die Gesundheit für das Kind zu garantieren.
Können Sie aus Ihrem Klinikalltag berichten, wie effektiv Eisen-Supplemente bei schwangeren Frauen sind und welche Dosierungsempfehlungen Sie geben?
Prof. Dr. E. Schleußner: Die Supplementierung von Eisen während der Schwangerschaft ist notwendig, da die intestinale Eisenaufnahme begrenzt ist (ca. 1,65 mg/Tag). Obwohl der Ansatz "Viel hilft viel" hier nicht zutrifft, ist eine Supplementierung bei Eisenmangelanämie erforderlich, da der Hämoglobinwert (Hb-Wert) allein nicht ausreichend Aufschluss gibt. Ein Serumeisenwert unter 15 μg/L rechtfertigt die Eisengabe, da die orale Zufuhr oft nicht ausreicht, um den Eisenmangel auszugleichen.
Wie bewerten Sie die Rolle von Vitamin D im Hinblick auf die Knochengesundheit eines ungeborenen Kindes und welche Empfehlungen geben Sie schwangeren Frauen?
Prof. Dr. E. Schleußner: Ja, der Mikronährstoff Vitamin D hat wesentliche Auswirkungen auf die Knochenentwicklung des Babys. Ein Vitamin-D-Mangel – der zunehmend häufiger beobachtet wird –, beeinträchtigt die klassische, fundamentale Funktion des Vitamins für den Knochenstatus. Ein Vitamin D-Mangel kann eine spätere Hypokalzämie (zu niedrige Calciumwerte) indizieren. In Anlehnung an neuere Studienergebnisse ergeben sich auch Zusammenhänge zwischen Vitamin-D-Mangel und einer herabgesetzten Fruchtbarkeit sowie dem Risiko von Schwangerschaftskomplikationen, Frühgeburten und einer niedrigen Knochenmasse bei Kindern (Nutritions 22 Jose).
Zudem ist Vitamin D für die Frau wichtig, da die mütterlichen Kalzium- Ressourcen zugunsten des Kindes aufgeschlossen werden und zu einer Demineralisierung bei der Mutter führen. Denn während der Schwangerschaft steht es im Vordergrund, dass das Kind genug versorgt wird.
Welche Bedeutung misst Ihre klinische Erfahrung Omega-3-Fettsäuren bei und welche Vorteile sehen Sie speziell während der Schwangerschaft und Stillzeit?
Prof. Dr. E. Schleußner: Wir haben vor vielen Jahren im Plazentalabor Muttermilch und Plazenta untersucht. Unsere Erfahrung hat uns gezeigt: Die antiinflammatorischen Eigenschaften von Omega 3, wenn diese statt Omega 6 aufgenommen werden, haben das Potential, flammatorische Prozesse zu unterdrücken, die zu einer Frühgeburt führen können. Aus unseren wissenschaftlichen Untersuchungen geht ebenfalls hervor, dass die Omega 3-Fettsäuren gebraucht werden, um neuronale Strukturen aufzubauen – insbesondere in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr.
Vor Jahren gab es große biologische Studien aus Norwegen von Frauen, die regelmäßig frischen Fisch essen: Es wurden weniger Frühgeburten beobachtet und nach drei bis sechs Jahren zeigten die Kinder einen nachweislich besseren IQ. Aber diese Erkenntnisse gelten nur für Frauen, die Seefisch konsumiert haben und nicht für die Supplementation von Omega 3. Die damaligen Studien von vor zehn Jahren konnten nicht nachweisen, dass Präparate die gleichen positiven Effekte hervorrufen.
Gibt es neue Forschungsergebnisse oder Trends in der Geburtsmedizin bezüglich der Ernährung, die Sie für besonders relevant halten?
Prof. Dr. E. Schleußner: Nein, eigentlich nicht. Es gibt immer wieder neue Mitteilungen im Augenblick, dass angeblich jede zweite Frau von einem Vitamin D-Mangel betroffen ist, was ich mir persönlich allerdings nicht vorstellen kann. Klar ist, dass sich die Lebensumstände verändert haben: Früher waren viele Menschen viel mehr der Sonne ausgesetzt – zum Beispiel bei der landwirtschaftlichen Arbeit. Heute sitzen viele von uns vor dem PC im dunklen Raum, sodass die Vitamin D-Produktion natürlich zurückgeht. Trotz der veränderten Lebensumstände, die eine Rolle spielen, bin ich persönlich unentschieden, ob eine Vitamin D-Supplementation bei allen Personen sinnvoll ist. Es gibt neue Trends, dass sich viele Personen (25 bis 30 %) vegetarisch ernähren. Solange es sich um eine lakto-vegetarische Ernährung handelt, stufe ich es als ok ein. Bei anderen Ernährungstrends bin ich mir unsicher.
Abschließend noch folgender Tipp: Heute muss alles immer ganz natürlich sein. Frauen meinen aus meiner Sicht oft “Nein, die bösen Tabletten nehme ich nicht”. Meine klare Empfehlung ist es, sich ausgewogen zu ernähren und ein klassisches Multivitaminpräparat für die Schwangerschaft einzunehmen. Manche Frauen nehmen fünf verschiedene und auch hochpreisige Präparate, was meiner Meinung nach nicht sein muss. Die gewöhnlichen Präparate, die als „für eine Schwangerschaft geeignet” gekennzeichnet sind, entsprechen der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin. Die empfohlene Tagesdosis für Omega 3 sollte aus meiner Sicht in der Phase 1 und 3 unbedingt eingehalten werden. Die alleinige Einnahme von Folsäure reicht meines Erachtens nicht aus.
Die Kosten für Multivitaminpräparate werden zwar nicht von der Krankenkasse übernommen, aber sind auch nicht so teuer, dass man es sich nicht leisten kann. Ich halte es für wichtig, zusätzlich zu supplementieren, da Multivitamine aus meiner Sicht einen positiven Einfluss auf die Plazenta – bereits in der Frühschwangerschaft und vor allem bei Frauen mit häufigen Früh- oder Fehlgeburten – ausüben. Gegebenenfalls halte ich es für sinnvoll, schon bei Kinderwunsch zu supplementieren, so dass die Speicher im Körper voll sind, wenn die Schwangerschaft eintritt.
Darüber hinaus gibt es Studien, die zeigen, dass wir in Deutschland zu wenige Mikronährstoffe über die tägliche Ernährung zu uns nehmen. Ich halte es für falsch zu denken, dass man alle wichtigen Vitamine und Mineralstoffe über die Ernährung aufnehmen kann. Mikronährstoffe wie Zink nehmen wir meines Erachtens alle nicht genug auf. Frauen mit Kinderwunsch empfehle ich, bereits vor der Schwangerschaft, während der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit ausreichend Mikronährstoffe für die Versorgung des Kindes zur Verfügung zu stellen.
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