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Experteninterview: Ernährung und individuelle Nährstoffbedürfnisse in der Schwangerschaft und Stillzeit

30. Juli 2024




Experteninterview: Ernährung und individuelle Nährstoffbedürfnisse in der Schwangerschaft und Stillzeit

Dr. Königbauer, welche Rolle spielen Vitamine und Mineralstoffe in der Ernährung von schwangeren Frauen und gibt es spezielle Ergänzungsmittel, die Sie basierend auf Ihrer Erfahrung in der Perinatalmedizin empfehlen würden?

Dr. J. Königbauer: Zunächst möchte ich betonen, dass die Ernährung ein Schlüsselelement in der Schwangerschaft darstellt. Die Ernährung hat einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft sowie die Geburt und auch langfristige Effekte für die Gesundheit von Mutter und Kind. Wichtig dabei ist eine angemessene Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, die Aufnahme von frisch zubereiteten gesunden Nahrungsmitteln, der sichere Umgang mit Nahrungsmitteln (gutes Waschen, kein rohes Fleisch, kein roher Fisch), eine adäquate Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen sowie natürlich die Vermeidung von Alkohol und Drogen.

Der Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen ist in der Schwangerschaft zum Teil höher und betrifft vor allem Kalzium, Vitamin D, Folsäure, Eisen, Jod, Cholin und Ballaststoffe. Zu beachten ist, dass eine zu hohe Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auch schädlich sein kann (z.B. Vitamin A oder Jod).

Die WHO empfiehlt die Substitution mit Ergänzungsmitteln, die die wichtigen Vitamine und Mineralstoffe beinhalten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung schlägt 400µg Folsäure bei Kinderwunsch oder 800µg pro Tag vor, falls die Substitution erst mit Beginn der Schwangerschaft begonnen wird. Bei Jod sind es 200µg pro Tag. Und bezüglich Eisen und N-3-Fettsäuren sollte die Empfehlung individuell sein, je nach Ernährung (eisenreiche Nahrungsmittel, fettreicher Seefisch).

Als IBCLC-zertifizierte Still- und Laktationsberaterin, welche spezifischen Nährstoffe sind Ihrer Meinung nach entscheidend für die Milchproduktion und die Gesundheit der Mutter während der Stillzeit?

Dr. J. Königbauer: Auch hier ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung wichtig und effektiv. Es sollte auf eine zusätzliche Jodsupplementierung geachtet werden (100µg pro Tag) (Netzwerk Gesund ins Leben). Auch in der Stillzeit kann die Aufnahme von ungesättigten Fettsäuren die Entwicklung des Gehirns bei Säuglingen positiv beeinflussen (DHA trägt zur Erhaltung einer normalen Gehirnfunktion bei). Je nach Ernährung können N-3-Fettsäuren supplementiert werden (Netzwerk Gesund ins Leben). Bei besonderen Ernährungsformen der Stillenden ist eine Beratung bezüglich der geeigneten Ernährung und Supplementierung sicher sinnvoll.

Gibt es Unterschiede in den ernährungsphysiologischen Bedürfnissen zwischen der ersten und der letzten Phase der Schwangerschaft und wie passen Sie Ihre Beratung entsprechend an?

Dr. J. Königbauer: Es gibt Unterschiede in Bezug auf die Ernährungsphysiologie in den drei Trimestern der Schwangerschaft. Im ersten Trimester ändern sich eventuell die Ernährungsgewohnheiten durch Übelkeit und Erbrechen oder durch Abneigung gegen bestimmte Nahrungsmittel. Das erste Trimester ist besonders gekennzeichnet durch die Entwicklung des Embryos und aus diesem Grund ist der Bedarf an Folsäure besonders hoch.

Eine Folsäuresubstitution steht im Zusammenhang mit einem geringeren Auftreten von Neuralrohrdefekten (wenn sich die Wirbelsäule oder die Schädeldecke nicht vollständig formt). Eine Eisensubstitution kann vor allem im dritten Trimester relevant sein, da zu diesem Zeitpunkt viele Schwangere häufig eine Anämie aufweisen (Armut an roten Blutkörperchen). Die Entwicklung der Knochen des ungeborenen Babys spielt vor allem eine wichtige Rolle im dritten Trimester. Aus diesem Grund ist unter anderem die Kalziumaufnahme relevant. Die Energieaufnahme ist im 2. und 3. Trimester durch den steigenden Energiebedarf durch das Baby erhöht. Es ist immer empfehlenswert, eine ausgewogene Ernährung anzustreben. Bei bestimmten Vorerkrankungen oder Mangelzuständen berät Sie Ihre Frauenärztin oder Ihr Frauenarzt.

Beeinflussen kulturelle Ernährungsgewohnheiten aus Ihrer Erfahrung in verschiedenen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Kanada die Empfehlungen, die Sie schwangeren und stillenden Frauen geben?

Dr. J. Königbauer: In Berlin Mitte haben wir viele Frauen aus unterschiedlichen Regionen der Welt. Im Gespräch mit den Frauen stelle ich da keine spezifischen Besonderheiten fest. Die Empfehlungen zur Ernährung basieren größtenteils auf großen internationalen Studien und sind dadurch auch eher unabhängig.

Wie integrieren Sie Ihr Wissen aus der speziellen Geburtshilfe und Ihrer DEGUM II-Zertifizierung, um personalisierte Ernährungspläne für Ihre Patientinnen zu entwickeln?

Dr. J. Königbauer: Beim Ultraschall spreche ich gerne über alltägliche Dinge und wenn es sich anbietet auch über das Thema Ernährung. Die meisten Frauen sind gut informiert und ernähren sich gesund. In der Gestationsdiabetes Sprechstunde ist es ein relevanter Bestandteil, mit den Frauen eine individuelle Ernährungsempfehlung aufzustellen. In dieser Situation probieren wir auch gemeinsam aus, was am besten passt oder bei welchem Nahrungsmittel der Blutzucker stark steigt. Auch die Tageszeit und das Stresslevel sind dabei wichtig.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Beratung von schwangeren Frauen mit Ernährungsunsicherheiten und wie begegnen Sie diesen in Ihrer täglichen Praxis?

Dr. J. Königbauer: An erster Stelle steht eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Für manche Frauen ist das nicht selbstverständlich und eine Unterstützung durch regelmäßige Diätberatungen kann helfen. Ich empfehle eine reguläre Substitution von “Schwangerschaftssupplementen”, angepasst an das Schwangerschaftsalter. Bei besonderen Risikosituationen, zum Beispiel bei einer Frau mit Magenbypass oder einer Frau, die bereits ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt hatte, empfehlen wir eine angepasste Ernährung und Substitution.

Wie hat sich Ihre Ansicht zur Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit im Laufe Ihrer Karriere entwickelt, und welche neuen Forschungserkenntnisse haben diese Ansicht geprägt?

Dr. J. Königbauer: Ich bin seit 2013 in der Frauenheilkunde tätig und seitdem sind die meisten Aspekte in Bezug auf die Ernährung gleich geblieben. Es sind sicherlich einige Feinheiten wie spezifische schwangerschaftsbasierte Ernährungsempfehlungen hinzugekommen. Wichtig ist sicherlich, immer die Frau individuell zu sehen und sie angemessen zu beraten.

 

Hinweis: Dieses Interview wurde unentgeltlich geführt, die Expertin hat hierfür keine Bezahlung oder sonstige Gegenleistung erhalten.


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